Geringfügige Beschäftigung
Bundessozialgericht: Bei kurzfristigen Beschäftigungen sind beide Zeitgrenzen gleichwertig
Laut Bundessozialgericht (BSG) war bei einer nicht berufsmäßig ausgeübten kurzfristigen Beschäftigung im Jahr 2010 bei einer Fünf-Tage-Woche nicht die damals geltende Zwei-Monats-Grenze, sondern die 50-Arbeitstage-Regelung anzuwenden (24.11.20, B 12 KR 34/19 R). Im folgendem wird die Entscheidung erläutert und informiert, wie sich das Urteil heute in der Praxis auswirkt.
Anforderungen an eine kurzfristige Beschäftigung
Es liegt eine kurzfristige Beschäftigung vor, wenn diese nicht länger als 3 Monate bzw. 70 Arbeitstage im Kalenderjahr befristet ist und bei einem Arbeitsentgelt von mehr als 450 EUR im Monat nicht berufsmäßig ausgeübt wird (vom 1.3.21 bis 31.10.21 gelten vier Monate bzw. 102 Arbeitstage).
Im Vierten Gesetz zur Änderung des Seefischergesetzes (BGBI I 21, 1170) sind die zeitlich befristeten (erhöhten) Zeitgrenzen enthalten.
Der BSG-Fall bezieht sich auf das Jahr 2010. Da waren noch die alten – bis Ende 2014 geltenden – Zeitgrenzen für eine kurzfristige Beschäftigung von zwei Monaten oder 50 Arbeitstagen maßgebend.
Streit um Begrenzung auf 50 Arbeitstage bei Fünf-Tage-Woche
Eine Arbeitnehmerin einer Rechtsanwaltskanzlei hat vom 1.7.2010 bis 7.9.2010 aufgrund eines Rahmenarbeitsvertrags eine kurzfristige Beschäftigung ausgeübt. In diesem Arbeitsvertrag versicherte sie ihrem Arbeitgeber, dass sie keine weiteren sozialversicherungsfreien und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nachgeht. Sie hat auf Grundlage dieses Rahmenvertrags für insgesamt 49 Arbeitstage ein Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 7.000 EUR erhalten.
Rentenversicherungsträger verneint (Zeit-) Geringfügigkeit
Der Rentenversicherungsträger fordert nach der Betriebsprüfung Sozialversicherungsbeträge nach. Er begründet es damit, dass im angegebenen Zeitraum keine geringfügige sozialversicherungsfreie Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV vorlag. Denn die Tätigkeit sei an fünf Tagen in der Woche ausgeübt worden, da sei der damals maßgebende Zwei-Monats-Zeitraum und nicht die 50-Arbeitstage-Regelung Maßstab. Und dieser Zwei-Monats-Zeitraum sei überschritten worden.
Sozialgericht Dresden und Landessozialgericht Sachsen unstimmig über die (Zeit-) Geringfügigkeit
Als erste Instanz hatte das Sozialgericht Dresden festgestellt, dass auf Grund der vorherigen vertraglichen Begrenzung der auf 50 Arbeitstage eine sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigung vorlag. Das Landessozialgericht Sachsen sah dies aber anders: Unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie, der Rechtsprechung des BSG und der Kommentarliteratur könne die Grenze von 50 Arbeitstagen ausschließlich auf Beschäftigungen von maximal vier Tagen pro Woche angewandt werden.
Arbeitgeberin legt Revision ein
Die Arbeitgeberin rügt in ihrer Revision beim Bundessozialgericht, dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV verletzt sei, denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sei von einer geringfügigen Beschäftigung auszugehen, wenn diese im Voraus vertraglich auf längstens 50 Arbeitstage begrenzt sei. Die Richter des Bundessozialgerichts gaben ihr Recht.
Bei Zeitgeringfügigkeit Verteilung der Arbeitstage unerheblich
Das BSG ist in diesem Fall der Meinung, dass die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen rechtswidrig ist. Die jeweilige Zeitgrenze seinen in Abhängigkeit von der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage nicht anzuwenden. Demzufolge sind die Voraussetzungen für eine kurzfristige Beschäftigung bei einer im Voraus befristeten und an mindestens fünf Tagen in der Woche ausgeübten Beschäftigung auch dann erfüllt, wenn diese im Laufe des Kalenderjahres zwar auf mehr als zwei Monate im Voraus nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, jedoch an nicht mehr als 50 Arbeitstagen ausgeübt wird.
Die nach Arbeitstagen berechnete Zeitgrenze ist nach dem Gesetzeswortlaut als gleichwertige Tatbestandsalternative nicht nur bei einer bestimmten, nicht aufeinanderfolgenden, Verteilung der Arbeitstage anwendbar.
Konsequenzen für die Praxis
Den Arbeitgebern bleibt es selbst überlassen, ob sie bei einem kurzfristig beschäftigten Arbeitnehmer die drei Monate bzw. 70 Arbeitstage (bzw. im Zeitraum 1.3.21 bis 31.10.21 die vier Monate oder die 102 Arbeitstage) ansetzen. Sie können sich aussuchen, was für sie günstiger ist. Entscheidend ist dabei nicht mehr, ob eine Beschäftigung an mindestens fünf oder bis zu vier Tagen in der Woche ausgeübt wird.
Beispiel
Ein Verkäufer hat am 28.5.20 eine bis zum 31.10.20 befristete Beschäftigung bei einer Fünf-Tage-Woche gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von 2.500 EUR aufgenommen (Zeitgrenzen vom 1.3.20 bis 31.10.20 von drei auf fünf Monate bzw. von 70 auf 115 Arbeitstage angehoben).
Ergebnis: Der Verkäufer ist sozialversicherungsfrei. Die Beschäftigung dauert zwar länger als fünf Monate, sie ist mit 112 Tagen aber nicht länger als 115 Arbeitstage und daher nach der neuen BSG-Rechtsprechung kurzfristig.
Die Geringfügigkeits-Richtlinien werden zeitnah von den Spitzenorganisationen der Sozialversicherung angepasst. Die neuen Geringfügigkeits-Richtlinien treten voraussichtlich zum 1.1.22 in Kraft.
Für Rückfragen wenden Sie sich gerne an Herrn Larsen Lüngen oder Herrn Adrian Mrochen